Freitag, 12. März 2010

Szene 5: 2. Tag. Frühstück

Szene 5: 2. Tag. Frühstück

Reichlich gedeckter Tisch in der Küche. Bühne wie Szene 1, nur die Katze fehlt, dafür hängt ein Fernseher von der Decke. V1 u. V2 sitzen am Tisch nebeneinander über ein Kreuzworträtsel gebeugt. Beide rauchen. Rühren das Essen nicht an. Spielen vielleicht gelegentlich damit.

V1:

Das ist nicht gut. Das passt nicht. Zu lang. Alles viel zu lang.

V2 (vor sich hinmurmelnd):

Die Entledigung oder wenigstens die Entrückung oder zumindest die Prolongation der Landelichterbahn.

Wir dürfen nicht schlafen. Wenn wir schlafen, rammen sie uns den Pflog in den Leib. Schlaf tötet uns nicht, aber im Schlaf werden wir getötet. Traue niemandem.

Du, schlafen wir? Träumen wir? Leben wir? Fliegen wir?

V1:

Bitte?

Chinesische Dynastie, drei Buchstaben.

Dir ist die Nacht nicht bekommen. Was musstest du auch den Rechner zertreten.

V2:

Ein Unfall.

Ich stolperte.

Stolperte über dich. Du lagst davor.

Aber hier, das weißt du: Gerät zur Richtungsbestimmung, sechs Buchstaben.

V1:

Geht das in eine bestimmte Richtung?

Gehen wir in eine bestimmte Richtung?

Haben wir ein Ziel?

Ist das das Ziel.

Mir ist schlecht.

Flau im Magen.

Speiübel.

V2:

Mein Kopf ist leer.

Die Entledigung der Gedanken. Der Vorstellungen.

Oder wenigsten die Entrückung oder zumindest die Prolongation der Gedanken. Des Gedankens. Des eines Gedankens.

Ihn nicht mehr zu denken ist schier unmöglich. Ist Schierling meinem Leib.

V1:

Französisch hier. Drei Buchstaben.

Hier rechts, senkrecht.

Hier in der Mitte, bei mir. Da ist das flaue Gefühl. Da ist das Gefühl, dass da nichts ist. Da ist nichts. Wenn ich so tue, als ob da nichts wäre, ist da auch nichts. Wir machen einfach weiter, indem wir aufhören, etwas zu machen. Du hast mir nichts gemacht. Du hast mir das da nicht gemacht. Es ist nicht. Game over. Insert new coin. Ganz einfach.

V2:

Einfach nicht dran denken.

Den Hunger, die Gier, sie sind nicht in mir. Das kam aus dem Rechner, aus dem Handy, aus der Wand, aus dem Boden, aus den Armaturen der Waschbecken, dem Email des Topfes, der Unbelassenheit des Tisches, der Naturbelassenheit der Steine.

Es heißt, wenn man den Kopf dagegen schlägt, helfe das.

Es hilft nicht. Es bleibt alles naturbelassen oder unbelassen, wie es war.

Wie du.

Unbelassen naturbelassen.

Entledigt. Entrückt. Prolongiert.

Hier.

Richtungslos ausgerichtet.

V1:

Du hattest deinen Spaß (tiefer Zug an der Zigarette)

V2:

Ich hatte meinen Spaß.

Zehn Minuten u. das ganze Leben versaut.

V1:

Meins?

V2:

Meins?

V1:

Seins genommen.

V2:

Unseres genommen.

Wir wurden, was wir sind.

Wie wir hier sitzen u. versuchen zu leben.

V1:

Wir leben nicht.

V2:

Wir sind nicht tot.

V1:

Eine Bewegung im Bauch.

Vielleicht etwas Falsches gegessen.

Heutzutage. Man weiß ja nie.

Man weiß nichts mehr.

Eine Schande.

Die Welt.

Da draußen.

All das da draußen.

Alle da draußen.

Wir hier.

Du.

Ich.

Jeminitische Stadt mit vier Buchstaben.

V2:

Die Entledigung oder wenigstens Entrückung oder zumindest die Prolongation des Atemzuges.

Das Hoffen im Innehalten, alles komme, wie es solle. Alles bleibe ohne zugrunde gegangen zu sein.

Fliegen wir?

Schweben wir über den Landelichtern u. dort winkt ein Leben. Ein junges, frisches, rosiges neues Leben?

V1:

Das hättest du gerne.

Du würdest dich draufstürzen, wie sich der Meteor auf der Suche nach seinem Krater auf die Erde stürzt.

Beide gehören zusammen u. können doch nicht sein.

Wie wir.

V2:

Wir sind zusammen. Hier explodiert nichts.

Hier: Begriff aus der chinesischen Philosophie. Drei Buchstaben.

Vielleicht hätten wir nach China gehen sollen.

Im Mauerbauern sind wir nicht unbewandert.

V1:

Experten! (lacht)

V2:

Unbelassen. Naturbelassen.

Kellergemäuer.

Lassen wir das Dach weg.

V1:

Luft für die Leichen.

V2:

Schweig.

V1:

Still.

V2:

Psst.

V1:

Ssst.

V2:

Gebrauchsmöbel. Fünf Buchstaben.

V1:

Ich.

Du gebrauchtest mich. Gebraucht hattest du mich nie. Aber du gebrauchtest mich. Hättest du mich nur einmal brauchen wollen.

V2:

Ich brauche dich.

V1:

Nein.

Das sagst du, weil man das so sagt.

V2:

Ja. Nein.

Ja.

V1:

Schweig!

V2:

Still!

V1:

Ein eingespieltes Paar.

Wenn ich den Bauch einziehe, sieht es aus, als ob nichts wär.

V2:

Als ob nichts wär.

Unser Motto.

Schreib es an die Wand.

V1:

Unbelassen. Naturbelassen.

V2:

Entledigt. Entrückt. Prolongiert.

Ich ruf jetzt den Arzt.

V1:

Ich brauche keinen Arzt.

Es ist zu spät.

Außerdem sind wir hier sicher.

Zudem sind die Ärzte hier Quacksalber.

Halsabschneider.

Pillenverschreiber.

Ruhigsteller.

V2:

Du musst es ja wissen.

Bei deinem Konsum.

(lacht)

Vielleicht bist du deshalb überfällig:

Das Kind ist eingepennt. Eingeschläfert.

Auf ewig sediert.

Antidepressiert.

(lacht)

V1:

Ja, so ist es wie wir.

V2 (sichtlich schockiert über die Schlussfolgerung):

Schweig!

V1:

Still!

V2:

Bezeichnung für eine Vereinigung von Gleichgesinnten. Sechs Buchstaben.

V1:

Gleichgesinnte kenne ich nicht.

Ich bin allein.

V2:

Du bist nicht anders als ich.

Du bist wie ich.

Es wird anders sein.

Muss anders sein.

Muss.

Muss.

V1:

Es gibt nichts anderes außer uns.

Nur uns.

Auf ewig.

Immer hier.

Hier passiert nichts.

Hier passiert uns nichts.

Ewige Ruhe.

Ruhe in Ewigkeit.

V2:

Und heute Nacht?

V1:

Was war heute Nacht. Ich habe geschlafen.

Es wenigstens versucht.

Wie jede Nacht.

Jede schlaflose Nacht.

Unbelassen. Naturbelassen.

V2:

Entledigt. Entrückt. Prolongiert.

Ich rufe jetzt den Arzt.

Es wird Zeit.

V1:

Schweig.

V2:

Still.

V1:

Ich habe keinen Hunger mehr.

V2:

Was man so sagt.

V1:

Still.

V2:

Schweigen.

Stille

V2:

Lateinisch Ursprung. Fünf Buchstaben.

V1:

Waagerecht oder senkrecht?

V2:

Uns geht es doch gut.

V1:

Ja, uns geht es (zuckt unter Schmerzen zusammen)

gut.

V2:

Ist es soweit?

V1 (lacht unter Schmerzen):

Das sagt man doch nur so.

Aber da ist nichts.

Mehr.

V2 schaltet den Fernseher an. Es kommen Nachrichten. Er dreht sie auf volle Lautstärke.

Licht aus.

Ende.

©Klaus Peter Buchheit.

Augsburg 2008

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