Freitag, 12. März 2010

Szene 2: 1. Tag. Mittagessen

Szene 2: 1. Tag. Mittagessen

Esszimmer. Ein gedeckter Tisch. Hintere Wand eine Fototapete, auf der Fenster mit Sonnenuntergängen über Bergen abgebildet sind. Links u. rechts Kommoden u. ein Laptop aus Pappmaché. Vor dem Laptop ein Stuhl. Ein Aquarium mit Fischen.

Auf dem Tisch wieder Blumen. Zwei Grillhähnchen auf Silbertablett. Zwei Schüssel mit Salat. Eine Glasschüssel mit Pellkartoffeln. V1 u. V2 sitzen am Tisch. Vor ihnen jeweils ein Teller u. ein Glas Rotwein. Leise läuft Volksmusik.

V1 u. V2 schweigen.

Sie sind nahezu regungslos.

V1 stochert mit der Gabel im Salat rum.

V2 springt auf u. geht an den Laptop.

V1:

Das nervt.

V2:

Lass mich.

(V1 u. V2 schweigen. V2 tippt etwas in den PC.

V2 grunzt.)

V1:

Lass sehen.

(V2 klappt panisch den Laptop zu u. geht zurück an den Tisch.)

V2:

Da sagt einer, man dürfe keine Spinnen töten. Darauf müssen wir anstoßen.

(V2 greift nach dem Glas, stößt es aber um.)

V2:

Scheiße.

V1:

Der gute Wein.

(V2 ignoriert das Missgeschick.)

V2:

Man dürfe keine Spinnen töten. Haben die keine anderen Sorgen.

(zu V1)

Du bist überfällig.

V1:

Ich bin nichts. Ich bin höchstens fett. Dick wie ein aufgeblähter Kadaver im Wasser.

V2:

Das ist das Leben.

V1:

Das du nehmen willst.

(V2 nimmt ein Hähnchen, bricht es auf, legt einen Teil wieder auf das Silbertablett u. spielt mit dem anderen. Er reißt Fleischstücke von den Knochen u. wirft sie ins Aquarium.)

V2:

Wertlos. Sie färben nicht einmal das Wasser.

Da ist kein Leben drin. Aber in dir ist Leben. Mein Leben. Leben von meinem Leben. Der Beweis von meinem Leben. Der Beweis für mein Leben. Der Beweis für meine normale Existenz.

V1:

Quod erat demonstrantum.

(V1 nimmt eine Kartoffel u. zerquetscht sie mit einer Hand)

(V2 geht wieder an den Laptop. V1 verrenkt sich, um zu sehen, was er sich ansieht. Er versucht den Bildschirm mit seinem Körper abzuschirmen.)

V2:

Paare funktionieren nur, wenn sie einander ihre Geheimnisse lassen.

(V2 grunzt wieder)

V1:

Ich muss mal.

(V1 verlässt den Raum. V2 scheint geradezu den Bildschirm abzuschlecken)

V2:

Es wird nicht sein wie ich. Es wird somit die Vollendung sein.

Sein Schicksal soll in meiner Hand liegen.

Ich will das alles auch.

(V1 kommt zurück. V2 starrt sie kurz aber intensiv an.)

V1:

Gib dir keine Mühe. Du hast den Blick nicht. Ein Ammenmärchen.

V2:

Dein Lippenstift ist verschmiert.

(V1 wischt sich schnell den Mund sauber.)

V2:

Du bist überzählig.

Hast du den Arzt angerufen?

V1:

Nein.

Er sagte schon vor Monaten, dass es ein Fehler gewesen wäre.

Ich werde daran sterben.

V2:

So schnell stirbt es sich nicht.

V1:

Dir wäre es doch recht. Ein Zeuge weniger.

V2:

Du musst essen.

(V1 nimmt das zweite Hähnchen u. stopft Pellkartoffel hinein. Sie geht zu V2, hält das Hähnchen über seinen Kopf u. zermalmt es mit ihren Händen. Die zerquetschten Kartoffeln fallen auf V2s Kopf. Er schmiert sich den Brei in die Haare.)

(Beide schweigen.)

(V1 wirft den Rest des Hähnchens ins Aquarium.)

V1:

Wer sind wir?

Was sind wir nur?

V2:

Das weißt du genau.

Immer wehrst du dich dagegen.

(V1 öffnet unvermittelt den Laptop. Anstelle des Bildschirms klebt dort ein blutverschmiertes Bild.)

V1 (lacht):

Hast du Spinnen erschlagen.

V2:

Ich halte das nicht mehr aus.

Du bist eine Qual.

Alles ist eine Qual.

(V1 geht zum Aquarium, fängt einen Fisch. Sie geht zurück zu V2, hält den Fisch über ihn u. dreht dem Fisch den Kopf ab. V2 starrt nach oben u. saugt den Fisch aus, spuckt aber alles wieder aus.)

V2:

Ersatz.

Immer nur Ersatz.

Surrogate.

V1:

Schweig still.

Du wolltest es so.

Du wolltest dieses Leben.

Mit all dem da (zeigt den Raum).

Mit dem da (zeigt auf ihren Bauch)

Du wolltest.

Immer willst du.

Bis nichts mehr übrig ist.

Oder bis nur noch das da übrig ist (wirft die Fischreste zurück ins Aquarium).

V2:

Typisch Frau.

Du verweigerst dich.

V1:

Du verweigerst dich.

Du wolltest nicht mehr.

Du saßest nur noch am Rechner u. grunztest wie ein Schwein.

V2:

Ich war leise.

U. in der Nacht, da verließest du das Haus.

Glaubst du, ich habe es nicht bemerkt.

Glaubst du, ich habe es nicht gesehen.

Ich stand am Fenster u. sah, wie du in die Nacht ranntest, die Gier im Nacken

u. die Gier im Blick.

V1:

Du bist so schwach.

(sie streicht ihm den Kartoffelbrei aus den Haaren)

Du Armer, du.

(V2 zuckt, als wolle er sie schlagen, beherrscht sich aber.

Er geht zurück an den Tisch u. setzt sich. V1 bleibt regungslos stehen, wischt sich dann die Hände an ihrem Kleid sauber u. setzt sich auch zurück an den Tisch.

Sie nimmt ihr Glas Rotwein u. schüttet es sich in den Schoß.)

V2:

Hahaha.

Verscheißern kann ich mich selber.

V1:

Es wird nicht geschehen. Es wird nicht kommen. Ich werde es nicht in diese Welt lassen, in deine Welt. Nicht noch einmal.

Nicht noch einmal das.

Wir hätten ausgehen können. Du hättest anstelle dieses Dings da etwas Schönes geben können.

Rubine. Oder Kleider. Kleider für die Nacht. Kleider für meine makellose weiße Haut.

Für meinen schlanken Körper.

(V2 sieht sie verächtlich an.)

V2:

Du hast keine Tiefe. Keinen Geist. Du bist zu mager.

(V1 steht auf, geht zum Laptop, reißt das blutverschmierte Bild heraus u. schlägt es V2 ins Gesicht. Zerreißt es u. wirft die Schnipsel auf den Boden.)

V1:

Ist das Tiefe?

Ist es Tiefe, was du mit den anderen gemacht hast?

Ist das Tiefe?

Tief ist nur das Nichts in dir, das du mit Leben stopfen willst.

Mit meinem Leben.

Ich wollte, ich hätte keins mehr.

Der Arzt sagte, diesmal werde ich es nicht schaffen.

Diesmal nicht.

Das ist dann mein Geschenk.

(Streicht sich über den Bauch)

Unser Geschenk.

V2 (als wäre nichts passiert):

Ich habe Hunger.

(V2 kriecht auf dem Boden umher u. sammelt die Schnipsel auf.)

V2:

Mein Baby.

(V2 geht zum Laptop. Drückt Tasten.)

Meine Babys. Mein ein u. alles.

Stille

Es geschieht, was geschieht. Der Herr nimmt u. der Herr gibt.

Ich habe gegeben u. ich werde nehmen.

(V1 schiebt mit dem Arm alles vom Tisch auf den Boden.)

V1:

Hier nimm.

(V2 starrt in den Rechner u. beginnt wieder zu grunzen.)

(V1 lacht leise u. hysterisch.)

(V1 überblickt den leeren Tisch. Wischt ihn mit ihrem Ärmel sauber.)

V1:

Alles in bester Ordnung.

Schreib dem Spinnenrettermensch, er sei ein Idiot.

V2:

Ja, Frau.

U. jetzt schone dich.

Wir brauchen Ruhe.

Soll ich den Arzt rufen.

V1:

Nein.

Es ist alles in Ordnung.

Wie gesagt.

In bester Ordnung.

Halten wir Mittagsruhe.

(V1 legt den Kopf auf den Tisch.

V2 grunzt leise in den Laptop hinein.

Die Musik verstummt.)

Langsamer Einzug des Lichts.

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