Freitag, 12. März 2010

Szene 3: 1. Tag. Abendessen.

3. Szene: 1. Tag. Abendessen.

Wintergarten. Die Sonne ist bereits untergegangen. Auf dem Tisch verschiedene Tellerchen mit Sellerie-, Karotten-, Paprikajulienne. Schüsselchen mit Dips. Neben V1 ein Schuhkarton. Neben V2 eine Pistole. Beide spielen mit einem kleinen Laptop. Das Fenster des Wintergartens ist geöffnet. Davor ein Baum. Auf den Ästen Vögel.

V1:

Iss doch!

V2:

Keinen Hunger.

V1:

Den ganzen Nachmittag hast du dir diesen Scheiß im Netz angeschaut.

Die Bilder.

Das Blut.

V2:

Recherchiert habe ich.

V1:

Wer’s glaubt.

Wenn du mich so ansehen würdest, wie diese Bilder.

V2:

Dann würdest du rennen.

Du willst doch nicht, dass …

V1:

Iss endlich.

Der Mensch muss essen.

V2:

Ja, der Mensch.

Mach das Ding aus.

Menschen erschießen, dass sie platzen.

V1:

Da ist kein Blut. Das ist Spiel.

Es beruhigt mich.

Ich ertrage dich.

Ertrage das.

V2:

Du träumst.

Du lebst einen Alptraum.

Du bist der Alptraum.

Denk an das Kind.

Du willst es benutzen.

Aber es gehört mir.

Du willst es mir nehmen.

Du willst dich mir entziehen.

Ihr wollt gehen.

Ihr wollt zerplatzen.

Dein Alptraum, dein Wunsch, dein Ziel:

dich aufzulösen,

ohne eine Blutspur zu lassen.

Mir nichts zu lassen.

Kein Zeichen.

Dabei weiß ich nicht, ob es dich überhaupt gibt.

Ich muss mich beruhigen.

(V1 sieht sich auf seinem Laptop ein Entspannungsprogramm an. Aber er macht die Übungen nicht mit).

Kreise.

Mandalas.

Wie Spinnennetze.

Wie Netze für mein Kind.

Sicherheit.

Zukunft.

Ich.

Doch du.

V1:

Iss doch.

(V1 nimmt etwas aus dem Karton u. steckt es sich schnell in den Mund, kaut darauf herum, spuckt es wieder aus.)

V2:

Du bist widerlich.

V1:

Das ist nur Konfekt.

V2:

Du frisst Schaben.

Du bist so schwach. Noch nicht mal deine Verweigerung kannst du durchhalten.

Du wirst ein riesiges, blutleeres Insekt gebären. Eine nervöse Schabe, einen zittrigen, ekligen Vielfüßler, auf dem du davon reiten willst.

V1:

Idiot.

Entspann dich.

Iss was.

Alles wird gut werden.

(wieder stopft sie sich etwas aus der Schachtel in den Mund)

(V2 nimmt die Pistole u. schießt einen Vogel vom Ast. Der Vogel zerplatzt. V1 ignoriert es.)

V1:

Das

Das Ding

Das Ding da

in mir

es saugt mich jetzt schon leer.

Ich bin so leer.

U. so voll, so aufgedunsen, aufgeblasen.

So vor dem Zerplatzen.

Ich kann nicht essen

(spuckt das Etwas aus der Schachtel aus)

kann nicht trinken.

Sehe nur dich.

Dein Warten.

Dein Stieren auf die Bilder, wie du mich nicht mehr anstierst.

Als du anstiertest, hast du mir das da

das Ding gemacht.

Es wird mich töten.

Es wird tot sein.

Das hast du davon.

Nur weil ich dir gehorche.

Deine Frau.

Dein Weib.

Deine Subalterne.

Iss endlich.

(V2 nimmt eine Julienne, riecht daran, wirft sie dann aus dem Fenster u. schießt einen weiteren Vogel vom Baum.

V1 will freudig aufschreien, unterdrückt es aber.)

V2:

Du wolltest mich nie.

Du willst was anderes sein.

Was Besseres.

Wer glaubst du, dass du bist?

Hä?

Wer glaubst du, bist du?

Dumme Gans.

Du träumst.

Du träumst vom Leben u. tötest doch.

Dich.

Es.

Mich.

Früher ging ich aus.

Jetzt sitze ich hier.

V1:

Du wolltest doch …

V2:

Sei still, dumme Gans.

V1:

Ich dachte einst,

ich kriege alles aus Büchern.

Lesen.

Aus dem Internet.

Surfen.

Die ganze Nacht.

Dann anwenden.

Leben leben, wie es geschrieben steht.

Die Bilder. Die Filme.

Geht nicht.

Oder die Leute durchschauen.

Ich durchschaue jeden.

(V2 lacht in seine Mandalas hinein)

(V1 beachtet ihn nicht, schießt dafür umso heftiger in ihrem Spiel; steckt sich was aus der Kiste in den Mund, spukt es aus)

Aber wenn sie was Gutes wollen,

kriege ich es nicht mit.

Bin ich stumm u. dumm.

(hält einen Augenblick mit dem Spielen inne, dann weiter; will etwas aus der Kiste holen, lässt es dann aber bleiben)

Wenn sie was Böses wollen,

schon eher.

Da springt die Fantasie an.

Falls ich es merke.

Falls es sich nicht als etwas Gutes tarnt

wie zumeist.

Scheißdreck.

Aber wenn einer angreift, ja dann,

Chance, meine Chance, Sechser im Lotto,

ich springe an,

dort oben (zeigt auf den Kopf)

dort unten (zeigt zwischen ihre Beine)

Ich liege stetig auf der Lauer

vor mir selbst.

Nichts lässt sich anwenden.

Alles wird schon gegen mich verwendet.

Wie dieses Scheiß Selbstmitleid der Wahrheit.

Das muss aufhören.

Einfach enden.

U. das in mir,

es darf nicht anfangen,

überhaupt nicht erst beginnen.

Ich gebäre nur Selbstmitleid.

(lacht)

U. wenn die Gefühle kommen

u. das insgeheime Eingeständnis,

dass ich jemanden brauche,

treibt mich das in die Zwangslage,

jemanden gebrauchen zu wollen.

Von Anfang an.

Von Beginn an

ist alles schon verfahren u. verzwickt.

Der Anfang muss enden.

Das Ende hätte nie beginnen dürfen.

Es begann im Anfang.

Im Grunde,

ja,

im Grunde

(sie schießt wieder heftiger, lacht)

bin ich eine

Liebesattentäterin.

V2:

(ironisch)

Was sagst du, Schatz?

(ironisiert gestisch seine Entspannungsübungen)

V1:

Hättest du nicht das andere Kind …

V2:

Sei still.

Das bildest du dir ein.

Es gab kein anderes Kind.

Komm, schieß ein paar Animierte über den Haufen, das wird dich beruhigen.

Eskapistin.

V1:

Klugscheißer

(steckt sich wieder etwas aus der Schachtel in den Mund)

V2:

Es wird die Vollendung sein.

Du wirst es zur Welt bringen.

Es hätte heute schon so weit sein sollen.

Du verweigerst dich.

Du wirst es töten.

V1:

Du wirst es töten.

(V2 wird wütend u. will sich auf V1 stürzen, fasst sich aber wieder u. bleibt angespannt ruhig)

V2:

Ich werde es lieben.

Ich werde es innig lieben.

V1:

Innwendig meinst du wohl.

Du lebst nicht.

V2:

Du lebst nicht.

V1:

Aber du.

Kälter u. brutaler als der Tod.

V2:

Papperlapapp.

Ich weiß mich zu beherrschen.

Du u. deine Ausbrüche.

Du bist wahnsinnig.

Lebensfremd.

Leblos.

Aber es wird ein Leben haben.

U. das wird es mir dann auch geben.

Es wird meins sein. Für mich von mir.

(schießt einen weiteren Vogel vom Baum. V1 springt auf, will hinaus, kehrt wieder um u. setzt sich scheinheilig hin)

V1:

Es wird dich fressen. Wie es mich schon jetzt frisst. Wie es eine immer größere Leere in mich frisst u. ich von der Leere ganz fett werde und ganz hohl. Du siehst mich nicht. Du siehst nicht, wer ich bin, wie ich bin, was ich bin. Du siehst nur deine Bilder.

V2:

Du bist wie ich.

Du bist ein Spiegelbild von mir.

Wie ich, nur ein bisschen verkehrt.

Oder sagen wir: ganz verkehrt.

Verrückt.

V1:

Du bist verrückt.

Es wird sein wie du.

Das darf nicht sein.

Es darf nicht sein.

Ich darf nicht sein.

Vielleicht hast du Recht.

Vielleicht bin ich wie du, nur verkehrt.

Du hast mich dazu gemacht.

Du hast mir was vorgespiegelt.

U. ich bin darauf hereingefallen.

In die Falle, aus der es kein Entkommen mehr gibt.

Gefangen. U. du bist das Gefängnis.

Ich wurde als dein Spiegelbild zu meinem Gefängnis.

U. das da in mir,

es wird mir helfen

auszubrechen.

Es wird sein wie du.

Der Kreis schließt sich.

Wie in deinen Kreisen u. Mandalas,

deiner Scheißberuhigungsselbstverarsche,

du brachtest mich hinein.

Du brachtest das Untote über mich.

Es bringt mich hinaus.

Es schenkt mir das Unlebendige.

Den Traum.

Das Glück.

Das ewige Vergessen.

Dass es dich gibt.

(V1 stopft sich eine Handvoll Schaben aus der Kiste in den Mund u. spuckt sie wieder aus)

Dass es dich gibt.

(V2 schaut auf seinen Rechner.

V2 nimmt die Pistole u. zielt auf den Bauch von V1.

V2 schießt einen weiteren Vogel aus dem Baum.)

V2:

Was du nicht alles so sagst.

Was man nicht alles so sagt.

Du redest dummes Zeug.

Morgen früh rufen wir den Arzt.

Dann wird das schon werden.

Nicht wahr.

Alles ist in bester Ordnung.

Das sind die Nerven.

Du bist nervös.

Das ist alles.

Frauen.

Euch hätte man die Geburt nie überlassen dürfen.

Könnt ich mir nur selbst meine Kinder schenken.

Süße rosige Mädels.

(V1 zerschlägt den Rechner auf dem Tisch.

V2 schaut sie hasserfüllt an. Aber voller Gier.

V1 duckt sich. Greift in die Kiste u. bietet ihm eine Schabe an. V2 schlägt sie ihr aus der Hand. Nimmt die Pistole u. schießt einen weiteren Vogel vom Baum.)

V2:

Wir dürfen das …

V1:

… nicht …

V2:

… tun.

Das sind die Nerven.

V1:

Das bist du.

V2 (geht raus u. kommt mit einem Vogelkadaver zurück):

Das bist du.

V1 (reißt ihm den Kadaver aus den Händen):

Hättest du wohl gern.

(saugt an dem Kadaver)

ah,

aaaah.

ahh, ist das widerlich.

Das ist es in mir.

(saugend)

Wir dürfen das nicht.

V2 (auf V1 starrend):

Alles wird gut.

V1 (monoton-träumerisch):

Alles wird gut.

(V1 spielt wieder ihr Computerspiel, jetzt mit Ton, dass man das Ballern hört. V2 starrt auf sein Meditationsprogramm. Die Stimme aus dem Rechner wird immer lauter, sie sagt stets den gleichen Satz:)

Sie sind ganz leer.

Licht abrupt aus.

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