Freitag, 12. März 2010

Szene 1: 1. Tag. Frühstück

Szene 1: 1. Tag. Frühstück

V1/V2 sitzen am Frühstückstisch.

Auf dem Tisch stehen Teller mit Käse und Wurst, eine Schüssel mit Obst- und Gemüseschnitze. Der Tisch ist, wie man so sagt, schön gedeckt. Blumen, Servietten, schöne Teller u. elegantes Besteck. Auf den Tellern nett arrangierte Brotschreiben, Lachsstreifen, Dill u. Petersiliebüschel. Neben den Teller jeweils ein gekochtes Ei in einem Vintage-Eierbecher. Die Kücheneinrichtung als Fototapete. Es läuft leise Jazz-Musik.

Zwei Handys liegen auf dem Tisch.

Neben dem Tisch hängt von der Decke herab eine Plüschkatze.

V1 ist hochschwanger.

V2:

Wir haben es doch gut.

V1:

Ja, wir haben es gut.

V2:

Wie schön der Tisch gedeckt ist.

V1:

Ja, der Tisch ist schön gedeckt.

V2:

Greif zu.

V1:

Ich greife ja zu.

(schiebt den Teller von sich weg)

(Ein Handy klingelt)

V2:

Deins.

V1:

Nein, deins.

(V2 schaut auf das Display, nimmt das Gespräch mit einem lauten und übertrieben freundlichen „hallo“ an u. geht hinter die Fototapete. Man hört ihn telefonieren, versteht aber nicht, was er sagt.)

(V1 spielt mit einer Scheibe Wurst. Riecht daran. Ekelt sich. Hält sie der Katze hin. Schlägt damit auf ihr Gesicht ein.)

V1:

Scheißkatze!

Du hast wenigstens einen Beweis deiner Abhängigkeit. Du hängst von der Decke u. du kannst nicht anders.

(lacht)

Aber du wirst enden, wie sie alle enden.

Du wirst uns nicht entkommen.

Deine Leine war teuer, warum sagst du nicht danke schön. Danke schön liebes Frauchen. Danke schön liebes Herrchen.

(schlägt ihr wieder mit der Wurstscheibe ins Gesicht).

Nur das Ding in mir soll nicht enden.

Warum muss es einen Anfang haben?

Warum kann es nicht einfach nicht sein?

U. warum nimmt es mich nicht mit, dahin, wo nichts ist?

Wo all das hier nicht ist?

(V2 kommt zurück)

V2:

Hab ich dir schon gesagt, wie schön der Tisch ist?

Wie schön du bist?

Merkst du’s schon, dass es kommt?

Endlich kommt?

Dein Geschenk.

Was für ein Geschenk.

Mein Geschenk.

Iss doch, du brauchst Kraft.

Der Arzt sagte, der Termin sei jetzt.

Ist es endlich soweit?

V1:

(versucht zu lächeln)

Setz dich doch u. iss du. Das beruhigt. Männer sind immer so nervös. Männer haben immer kalte Füße, die dann aber seltsamerweise schwitzen u. stinken.

Setz dich u. iss.

Iss das hier.

V2:

(versucht seinen Zorn runterzuschlucken)

(will was sagen, aber er bewegt nur den Mund)

Stille

V2:

Je mehr wir wir selbst werden, desto besser können wir unsere Rollen spielen, aus denen wir eh nicht heraus kommen.

Stille

Es gibt die, die schnell u. schmerzlos töten, u. die, die dich bei lebendigem Leib unendlich quälen. Egal in welcher Situation. Auch im Glück.

Wozu gehören wir?

V1:

Iss.

Iss einfach.

Iss u. sei still.

V2:

(schneidet eine Grimasse)

Ich sage dir,

Frauen haben je u. je nach dem Retter u. Drachentöter gerufen.

Aber wenn er dann da ist,

klagen sie darüber, dass er ein ungehobeltes Raubein ist

u. dass er, beraubt seiner Aufgabe des Rettens u. Drachentötens,

anderen Süchten verfällt;

dass er sich quasi künstliche Opfer u. Drachen sucht;

dass er zu seinem eigenen Opfer u. Drachen wird.

Also gibt es nur einen einzigen Ausweg:

dass wir uns unserem eigenen Mythos von der Frau hingeben;

dass wir die mythische u. legendäre Frau suchen u. heimbringen.

So habe ich es getan u. mein Spiegelbild heimgebracht.

U. es funktioniert, ja, es funktioniert,

wenn wir beide nie von unserer Blindheit geheilt werden;

wenn wir uns permanent missverstehen u. in unserer Mythe oder Legende

auf ewig verharren.

Das ist der Schlüssel dazu.

Verstehst du das denn nicht?

V1:

(wischt das Gesagte mit einer Geste weg)

Halt einfach den Mund.

V2:

(äfft sie nach)

Du verstehst mich nicht.

V1:

Heul doch.

Iss endlich

V2:

(streichelt die Katze, hält ihr eine Wurstscheibe hin)

Iss mein Liebling.

Damit du rund u. lebendig wirst.

Na, dudududu.

Deideidei.

Schnuckiputzi.

Daddy’s Liebling.

(Das Handy klingelt)

(V1 nimmt es hektisch, als sei es in Gefahr, schützt es mit beiden Armen u. rennt hinter die Tapete. Man hört Geräusche, von denen man nicht weiß, bedeuten sie lachen oder weinen)

(V2 spielt mit dem gekochten Ei;

er bohrt oben u. unten jeweils ein Loch hinein; legt es auf seinen Teller; geht zur Katze, streichelt sie, würgt sie, drückt ihr einen Kuss auf, würgt sie wieder, schlägt sie, dass sie quer über den Tisch pendelt. Als er hört, dass V1 zurück kommt, fängt er sie wieder u. hält sie wie ein Kind im Arm. V1 sieht es. V2 setzt sich.)

V2:

Alles klar? War es deine Schwester.

V1:

Nein. Falsch verbunden.

V2:

Aha.

Du immer u. deine falsche Verbundenheiten.

V1:

(lächelt gequält)

Iss dein Ei, sonst wird es kalt. Es ist weich, wie du es wolltest.

Nahezu roh.

Nahezu blutig.

(lacht)

V2:

(macht eine Geste, dass sie schweigen soll)

Wie schön das Fell der Katze glänzt.

Wie Haut im Mondlicht.

(V2 nimmt das Ei u. bläst den Inhalt V1 ins Gesicht, die regungslos bleibt)

V2:

Du solltest dich freuen.

Du wehrst dich.

Du bist nicht normal.

Das Kind wird sich freuen. Es wird eine Freude sein.

Es wird anders sein.

Normal.

Es wird nicht sein wie du.

Ich habe Hunger.

(V1 steht langsam auf, wischt sich die Schlonze aus dem Gesicht, geht zur Katze u. zerbeißt sie. Saugt an der Wunde.)

V1:

Iss das.

Nichts wird sich ändern.

Ich hätte das alles nicht gebraucht.

Es ist erbärmlich.

V2:

Was du nicht sagst.

(Bleibt sitzen)

Wisch dir den Mund sauber.

Was soll das Kind von uns denken?

Alles ist gut.

V1:

Nichts wird es denken.

V2:

Was du nicht sagst.

(Stellt das ausgeblasene Ei wieder schön ordentlich in den Eierbecher. Rückt alles auf dem Tisch zurecht)

V1:

Was man nicht alles so sagt.

(V1 setzt sich wieder. Beide starren sich an u. bleiben regungslos.)

V2:

Der Tag ist so lang.

V1:

Das Leben ist so lang.

V2:

Ja, das Leben.

V1:

Das Leben.

Stille.

(Das Blut der Katze tropft auf den Boden)

Licht aus.

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